Text und Regie: Jan Philipp Stange
Bühne/Kostüme: Josephine Hans
Video: Jakob Engel
Dramaturgie: Elisabeth Zimmermann
Mit Johanna Franke, Katherina Nakui, Neven Del Canto und Hans-Hermann Ehrich. Am Klavier: Wladimir Krasmann | Fotos von Uwe Lewandowski
Osnabrück, 1942: Abend für Abend wird der Operettenhit „Maske in Blau“ gegeben und macht für Momente die allgegenwärtigen Schrecken des Weltkriegs vergessen. Innerhalb des Programms „Kraft durch Freude“ erzielt das Theater Osnabrück, das als eines der ersten des Reiches die Rassegesetze erfüllt hatte, sensationelle Zuschauerzahlen. Achtmal schaut alleine Katharina Temmeyer das Stück damals, jeweils mit wechselnder Begleitung von jungen Frontsoldaten im Heimaturlaub. Zum 75-jährigen Abo-Jubiläum von ihr, der mittlerweile 97-jährigen, ältesten Theaterzuschauerin Osnabrücks, führt „Ins Blaue“ ihr damaliges Lieblingsstück nochmals in der Originalfassung auf. Leider sind in der Folge eines britischen Fliegerangriffs beim Theaterbrand 1943 alle Aufzeichnungen und Dokumente, die eine originalgetreue Rekonstruktion erlauben würden, verbrannt. Was bleibt, sind die lückenhaften Erinnerungen der Dame, deren Zeugenschaft im Mittelpunkt der Wiederaufführung steht. War es so, oder doch anders? Durch ihre Realpräsenz im Publikum fungiert sie als Korrektiv der eigenen, mehr und mehr sich destabilisierenden Erzählung.
Schließlich wird sie selbst in die Operette hineingeschrieben, die sich inhaltlich um ein rätselhaftes Bildnis einer unbekannten Frau dreht. Ist Frau Temmeyer die Maske in Blau? Operette und Zeugnis, Dokumentation und Fiktion sind schließlich schwer auseinanderzuhalten: Was ist echt — und was ist Manipulation? Wie erinnert man eine Katastrophe, deren Zeitzeugen bald nicht mehr leben — und wer zeugt für die Zeugen, solange sie noch erzählen? Was war die Rolle des Theaters im Krieg — und welche ist es heute, in einer Zeit, in der sich der Faschismus wieder offen zeigt?
INS BLAUE
Theater Osnabrück 2017